Kein verlorenes Jahr

Von Verena Zeltner

Zur Zeit schreibe ich an einem Jugendbuch. Und so ziemlich am Anfang lasse ich den Vater meines Protagonisten sagen: „Ach Alex, China ist weit weg. Ich glaube nicht, dass wir uns da Sorgen machen müssen.“
Da hat er sicher recht. China ist ja wirklich weit weg, und Epidemien? Gibt es in Afrika, aber doch nicht hier bei uns, in Europa. Undenkbar.
Dass China weit weg ist, dachten wir uns nur. Es hat sich nämlich ganz schnell herausgestellt, dass uns dieses Land im Zeitalter der Globalisierung sehr nah ist, denn schon Ende Januar war das Virus in Deutschland angekommen … Nicht weiter schlimm, hieß es, es sei nur so was wie eine leichte Grippe.
Ganz ehrlich, wer hätte zu diesem Zeitpunkt geahnt, wie sehr Covid-19 unser Leben verändern und durcheinanderwirbeln würde. Und dass uns vorher kaum bekannte Wörter wie Lockdown oder Shutdown beschäftigen und in unseren alltäglichen Sprachgebrauch einfließen würden.
Die Leipziger Buchmesse nicht stattfinden zu lassen, war mit Sicherheit die richtige Entscheidung, aber trotzdem ein ziemlicher Schock für alle Literaturliebhaber. Ich hätte mein neues Buch „299 Tage“ in Leipzig vorstellen sollen und hatte richtig Druck gemacht, weil es noch rechtzeitig vor der Messe erscheinen sollte.
Zufällig bin ich im März im Netz auf ein Video der Band Silbermond gestoßen: „Machen wir das Beste draus“. Dieser Song, den die Bandmitglieder in Videokonferenzen produziert haben, hat mich sehr berührt und mir Hoffnung gegeben. Denn darum geht es ja: auch aus dieser verflixten Pandemie das Beste zu machen.
Nun ist dieses außergewöhnliche Jahr 2020 fast Geschichte. Ein verlorenes Jahr? Für mich mit Sicherheit nicht, trotz aller Einschränkungen.
Klar, Schriftsteller sind es gewohnt, im Homeoffice zu arbeiten. Und weil ja viele Buchlesungen, Gespräche und Werkstätten nicht stattfinden konnten, hat man – theoretisch jedenfalls – mehr Zeit zum Schreiben, ganz sicher aber weniger Einkünfte.
Um dem abzuhelfen, haben der Thüringer Literaturrat, der Friedrich-Bödecker-Kreis für Thüringen, der Lese-Zeichen e. V. und der Thüringer Schriftstellerverband Erstaunliches auf die Beine gestellt.
Als Ralf Schönfelder, der Projektmanager des Lese-Zeichen e. V., anfragte, ob ich nicht einen Text zu einer Sage aus dem Wisentaland schreiben könnte, aus dem ein Hörspiel entstehen sollte, konnte ich mir das anfangs gar nicht vorstellen. Schließlich habe ich mich – zum Glück – darauf eingelassen und eine Geschichte über die Saale geschrieben. Was Kay Kalytta und Axel Thielmann daraus gemacht haben, hat mich im wahrsten Sinne des Wortes verzaubert: Ich höre mir „Saalezauber“ auch heute immer wieder gern an. Die 23. Thüringer Literaturtage 2020, zu denen das Hörspielprojekt präsentiert werden sollte, konnten zwar nicht in der gewohnten Form stattfinden. Doch im Netz kann man sie als digitales Literaturfestival verfolgen: „Vorübergehend unverfügbar“.
Ellen Scherzer, die Projektmanagerin, hat die Mitglieder des Friedrich-Bödecker-Kreises dazu aufgerufen, eine Geschichte für eine Anthologie zu schreiben. Thema: „Eine ganz besondere Zeit“. Meine Geschichte heißt „Wer will schon in den Süden“, und ich bin schon jetzt sehr gespannt auf das Buch, das im Mai im Verlag Tasten & Typen erscheinen und zur Feier des 30-jährigen Bestehens des Friedrich-Bödecker-Kreises im Mai kommenden Jahres präsentiert werden wird.
Im Juni hat die Kulturstiftung des Freistaats Thüringen ein Sonderstipendienprogramm unter dem Titel „Resilienzen“ ins Leben gerufen. Ich habe mich mit einem Konzept für dieses Stipendium beworben und schreibe seit dem Spätsommer an einem Jugendbuch, das in Corona-Zeiten spielt.

In den Sommermonaten konnten dann doch noch einige Werkstätten und Lesungen stattfinden.
So durfte ich mein Buch „299 Tage“ am 31. Juli im Hof des Neustädter Pfarrhauses vorstellen – im Rahmen des Projektes „Das besondere Format“ des VS Thüringen und des Lese-Zeichen e. V. Was soll ich sagen: An einem lauen Sommerabend in einem roten Sessel unterm Apfelbaum zu sitzen, zu lesen und die vielen Fragen der interessierten Zuhörer zu beantworten, das war wirklich ein ganz tolles Erlebnis. Zumal da noch ein literaturinteressierter roter Kater hinter mir auf der Mauer lag und aufmerksam zuhörte.
Ein Höhepunkt für die Mitglieder des Thüringer Schriftstellerverbandes war unsere Manuskriptwanderung im Kloster Donndorf Ende August – mit Lesungen, Diskussionen und einer Wanderung in der Umgebung: eine gute Gelegenheit, sich endlich wieder zu treffen und Erfahrungen austauschen zu können.
Auch der Fachtag Literatur am 8. Oktober in Erfurt war für die Teilnehmer ein Highlight, selbst wenn es coronabedingt verschiedene Einschränkungen gab. Einschränkungen galten ebenso für die offizielle Feier am 24. Oktober zum 70. Geburtstag von Matthias Biskupek. Ich hatte das Glück, bei dieser beeindruckenden und emotionalen Feier im Löwensaal Rudolstadt dabei zu sein.

Was sicher nicht nur ich sehr bedauere: Leider sind die für den Monat November geplanten Vorhaben dem Virus zum Opfer gefallen – unsere Mitgliederversammlung in Gotha mit der Veranstaltung „Poesie und Politik“ und unsere Weihnachtslesungen in Bad Tabarz, nach denen wir uns traditionell zu unserer alljährlichen Weihnachtsfeier zusammengefunden hätten. Da bleibt uns nur, auf das nächste Weihnachten zu hoffen, auch wenn uns Covid-19 im neuen Jahr weiter beschäftigen wird.

Das Leben besteht ja nicht nur aus Arbeit, doch ich hatte auch neben dem Schreiben immer gut zu tun. Wenn man auf dem Dorf in einem Haus mit einem Riesengrundstück lebt, fällt einem bei gewissen Beschränkungen nicht gleich die Decke auf den Kopf. Und beim Buddeln im Garten, beim Schwimmen oder Arbeiten im Teich kriegt man den Kopf frei und kann sich in Gedanken aufs Schreiben konzentrieren. Und manchmal kommt es vor, dass einen dabei eine Idee für eine Geschichte, vielleicht sogar für ein neues Buch überfällt.

 

Verena Zeltner. Foto: Privat

Verena Zeltner wurde 1951 bei Neustadt/Orla geboren. Die Diplom-Wirtschaftsingenieurin arbeitete bis 2005 im kaufmännischen Bereich verschiedener Unternehmen. Seither ist sie freiberuflich als Kinder- und Jugendbuchautorin tätig.

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